[Buch Rezension von Malik Mbenga]
(Spoiler frei)
Jamie ist der erste Junge, der erste Lost Boy, den Peter auserwählt hat, um mit ihm auf der Nimmerlands-Insel zusammen Spaß zu haben, Abenteuer zu erleben und niemals erwachsen zu werden. Sie leben mit weiteren Jungen (Lost Boys) zusammen, die Peter über die Jahre hinweg auch mit auf die Insel gebracht hat. Nun hatte Peter auch einen besonders kleinen Jungen mitgebracht, den sechsjährigen Charlie. Dies findet Jamie gar nicht gut, denn obwohl sie selbst noch Kinder sind, findet er, dass Charlie trotzdem viel zu jung ist, um mit ihnen zusammen hier zu sein. Denn Abenteuer und Spaß auf Nimmerland bedeuten Kämpfe zwischen den Jungen, Kämpfe zwischen ihnen und den bestialischen Kreaturen der Insel und Kämpfe zwischen ihnen und den erwachsen Piraten. Diese enden immer blutig und oft auch tödlich. Jamie versucht zwar, allem neutral gegenüber zu stehen, denn Peter hat ihn als erstes auserwählt, mit ihm zusammen zu sein und dafür liebt er Peter, doch nun ist der kleine Charlie hier und Peter will auch mit ihm seinen Spaß haben.
Den meisten Menschen ist die Geschichte von Peter Pan, wenn auch nur in ihrer Grundessenz, bekannt, sei es von der Originalgeschichte von James Matthew Barrie von 1911 oder aus Disney´s Animationsverfilmung aus dem Jahre 1953. Fast jeder kennt Peter Pan als den Jungen, der niemals erwachsen werden wird. Dieser Fakt ist nicht anders in dem Buch „Lost Boy“ (2017) von der US-amerikanischen Autorin Christina Henry. Doch was anders ist, ist dass diese Version die Realität dieser Vorstellung zeigt. Ihre Bücher haben international und insbesondere innerhalb von Deutschland großen Erfolg genossen. Dies kann ich auch, abgesehen von den Verkaufszahlen, anekdotisch bestätigen, da ich ihre Bücher immer wieder mit dem Besteller-Sticker im Buchhandel sehe. Dieser Erfolg liegt meiner Meinung nach, abgesehen von ihrem literarischen Talent, insbesondere an den Geschichten, die sie aufgreift und ihr eigenes draus macht. Sie ist dafür bekannt, Kindergeschichten wie z.B „Alice im Wunderland“ und „Rotkäppchen“ als Vorlage zu nehmen und aus einem dunklen Blickwinkel sie neu zu interpretieren. Wie nah sie dabei an der Originalvorlage bleibt, ist von Buch zu Buch unterschiedlich. In ihrem Buch „The Girl In Red“ (2019) schweigt sie relativ stark von dem Originalmärchen ab und nutzt dieses überwiegend für manche Geschichtseckpunkte und die Ästhetik. In „Lost Boy“ bleibt sie allerdings sehr stark am Original und dies ist für diese Geschichte nur zum Vorteil.
Um eine düstere Version von Peter Pan zu schreiben, musste sie an seinem Charakter nicht soviel verändern. Peter Pan war bereits in der Originalgeschichte von James Matthew Barrie im Subtext ein düsterer Charakter. Diesen Subtext griff auf brillante Weise auf und führte ihn zu unvorstellbaren Orten. Hier beschreibt sie genau, was es wirklich bedeuten würde, wenn kleine Jungen gegen erwachsene Piraten kämpfen müssten, wenn sie alleine auf einer Insel überleben müssten, und einer von ihnen will, dass sie niemals erwachsen werden. Das Setting der Nimmerlands-Insel behielt sie auch relativ nah am Original. Einige Elemente hat sie den Lost Boys dazugegeben, welche ihr Leben noch mehr Grauen bereiten. Einer dieser Elemente sind die sogenannten „mannyeyed“. Dies sind riesige spinnenartige Kreaturen, die die Lost Boys oft in tödliche Situationen bringen. Abgesehen von den brutalen erwachsenen Piraten und den monsterartigen Kreaturen, sind die Jungs untereinander auch ziemlich gewalttätig. Dies wird dadurch verdeutlicht, dass dies junge Kinder sind, die alleine auf einer Insel leben, auf der sie konstant von Gewalt und Tod umgeben sind. Trotz all dieser Brutalität sind alle Lost Boys Peter dankbar, da er sie offenbar aus der Erwachsenen-Welt und sogar vor dem Erwachsen werden gerettet hat. Hat er dies wirklich?
Das Herz dieser Geschichte ist die Beziehung zwischen Jamie und allen Lost Boy‘s auf der Insel. Jamie ist der Beschützer der Truppe, er ist derjenige, zu dem alle kommen, wenn es Streit gibt oder wenn sie sich jemandem anvertrauen wollen. Dieses liebevolle und fürsorgliche Verhältnis sieht man insbesondere zwischen ihm und dem kleinen Charlie. Er sorgt sich so viel um Charlie, dass dies Peter negativ auffällt und er ärgert ihn, indem er Jamie konstant Charlies Mama nennt. Er agiert wirklich wie ein Elternteil, wobei der Leser sich währenddessen fragt, warum die Lost Boys nicht erwachsen werden und was es bedeuten würde, wenn dies einmal doch passieren würde.
Die bedeutsamste Beziehung des Buches ist die zwischen Jamie und Peter. Er und Peter waren als erstes zusammen und dies soll auch immer so bleiben, doch ob dies wirklich Gutes bedeutet, kann man nur herausfinden, wenn man sich dieser Geschichte widmet.
Ich kann dieses Buch nur jeder Person empfehlen. Es hat mich emotional mitgenommen wie kein anderes, so dass ich die Hälfte des Buches an einem Stück regelrecht verschlungen habe. Die Welt von Nimmerland ist so atmosphärisch geschrieben, dass man gefühlt selbst von Peter mit auf die Insel mitgenommen wird. Auch sind die Aspekte der Frage, was es bedeutet erwachsen zu werden und Menschen zu lieben, die einem womöglich nicht gut tun, so bewegend geschrieben, dass ich jedem diese Geschichte ans Herz legen kann.
Ich denke, man sollte darauf achten, das Buch mit dem Cover zu kaufen, welches oben abgebildet ist. Das US-Cover verrät meiner Meinung nach nämlich einen Aspekt der Geschichte, den man sich zwar denken kann, von dem man allerdings auch überrascht werden wird, wenn man es nicht erwartet.
Die Darstellung von Gewalt ist im Buch sehr bildlich verfasst, dies kann für manche etwas belastend sein, weil oft Gewalt an Kindern beschrieben wird.
Es gibt eine Stelle, die Subtext von sexualisierter Gewalt an Frauen hat.
Bereitmachen für ganz viele Tränen.
Artikel/Rezension: Mailk M.
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