”Kulturelle Aneignung”
Ob es draußen auf der Straße, in Schulen, auf Socialmedia oder im eigenen Freundeskreis gehört oder gesagt wird: immer wieder fallen vereinzelte muslimisch/ kulturell geprägte Begriffe, die von Menschen außerhalb dieses Kulturkreises getätigt werden. Ausdrücke wie „Yallah“ („Beeil dich“), „Mashallah“ („wie Gott will“), „Vallah Billah“ („Ich schwöre bei Gott“) und weitere haben sich stark in den deutschen Sprachgebrauch Jugendlicher etabliert. Dies ist nicht verwunderlich, da die kulturelle Diversität in Deutschland relativ stark vertreten ist. Bspw. haben laut einer Studie des statistischen Bundesamtes von 2022 28,7% in Deutschland einen Migrationshintergrund. Hierbei bilden Türken und Türkinnen mit etwa 1,5 Millionen Menschen die größte ethnische Minderheit. Auch im Bezug auf die Religionszugehörigkeit sind Muslime und Muslimas mit am stärksten innerhalb der religiösen Minderheiten in Deutschland vertreten. Dass muslimisch/ kulturell geprägte Sprachen Einfluss auf das deutsche Sprachverhalten haben, ist also abzusehen. Die Frage besteht allerdings, wie Menschen mit solch einem kulturellen Hintergrund dies wahrnehmen, ob es für sie ein positiver und ausgeglichener kultureller Austausch ist, oder kulturelle Aneignung unter Machtstrukturen.
Um dies herauszuarbeiten, wurden mehrere Schülerinnen und Schüler an der OS Lerchenstraße mittels einer frei zugänglichen Online-Umfrage zu dem Thema befragt. Vor der Darstellung der Ergebnisse ist es allerdings noch einmal wichtig zu verstehen, worin sich die Problematik bei der kulturellen Aneignung befindet.
Wo liegt das Problem in der kultureller Aneignung?
Unter dem Begriff „Kulturelle Aneignung“ („cultural appropriation“) wird grundsätzlich eine negative Aneignung kultureller Merkmale verstanden, die nicht zu den eigenen gehören. Dass Kulturen sich austauschen, ist nicht etwas Schlechtes, doch wenn von kultureller Aneignung gesprochen wird, dann bezieht es sich nicht auf einen gegenseitigen „exchange“ auf Augenhöhe, sondern auf „appropriation“, wobei asymmetrische Machtdynamiken das Hauptproblem darstellen. Das Machtgefälle sorgt dafür, dass die Aneignung, die nicht grundsätzlich etwas Schlechtes ist, sich dazu wandelt, dass kulturelle Merkmale aus ihrem ursprünglichen Kontext entnommen werden und für die individuellen Interessen derer genutzt werden, die vom Machtgefälle profitieren. Die Machtdynamik, basierend auf bspw. rassistischen Strukturen, erlaubt es den Profitierenden, diese Merkmale zu beanspruchen, ohne oft überhaupt Verständnis und Würdigung für diese kulturellen Merkmale zu haben.
Es ist wichtig, kulturelle Aneignung in Graustufen zu betrachten. Nicht alles kann direkt als ethisch nicht vertretbar kategorisiert werden. Vereinzelte Fälle müssen individuell analysiert und können nicht gleich als moralisch schlecht abgestempelt werden. Es ist aber insbesondere für jene wichtig, die von solchen Machtstrukturen profitieren, wachsam zu sein und jenen zuzuhören, die unter ihnen benachteiligt werden. Diese haben nämlich oft nicht so ein hohes Mitspracherecht, selbst wenn sie einige Aspekte als verletzend empfinden.
Die Ergebnisse der Umfrage

In der Umfrage gab es zwei Stichproben, Menschen mit muslimisch/ kulturell geprägtem Hintergrund, sowie ohne. Zu Beginn wurde jeweils erfragt, wie sie es wahrnehmen, wenn Menschen unabhängig vom kulturellen Hintergrund muslimisch/ kulturell geprägte Wörter im Sprachgebrauch nutzen. Hierbei ergab sich, dass die Stichprobe mit dem kulturellen Hintergrund dies fast zur Hälfte als neutral empfand (46,7%), am zweithäufigsten sich im negativen Bereich einordneten (36,7%) und der kleinste Teil befand sich im positiven Bereich (16,6%). In der Stichprobe der Befragten ohne solch einen kulturellen Hintergrund ergab sich, dass der neutrale Bereich auch am meisten angegeben wurde, hier sogar noch mehr als in der anderen Gruppe (63,4%). Die entgegensetzten Positionen waren dementsprechend weniger vertreten, doch eine negative Wahrnehmung wurde hierbei auch mehr angegeben (29,3% negativ und 7,3% positiv). Dass die zweite Stichprobe solche Wörter im Sprachgebrauch eher als neutral betrachtete, kann womöglich damit zusammenhängen, dass sie keine direkte Bindung zu ihnen hat, sei es aus kultureller oder religiöser Perspektive. Die Wörter werden also aus ihren ursprünglichen Kontext entnommen und verlieren an Bedeutung. Auch die eher negative Positionierung beider Gruppen verdeutlicht dies, aber es zeigt auch, dass diese Wörter, die häufig eine religiöse Bedeutung tragen, eine negative Konnotierung in der Wahrnehmung annehmen.
Zu der Frage, ob die erste Stichprobe denke, dass Menschen ohne einen muslimisch/ kulturell geprägten Hintergrund die Bedeutung dieser Begriffe kenne, antworteten die meisten größtenteils mit Nein (51,6%) und mit Teilweise (48,4%). Niemand hatte Ja angegeben. Bei der zweiten Stichprobe kam heraus, dass die meisten, die solche Ausdrücke im Alltag nutzen, die Bedeutung teilweise kennen (66,7%). Dann gab ein Viertel an, dass sie die Bedeutungen kennen und der kleinste Teil meinte, dass sie die Bedeutungen nicht wissen würden (8,3%). Dies zeigt zwar, dass diejenigen ohne kulturellem Hintergrund nach eigener Aussage die Bedeutungen teilweise und tatsächlich kennen, doch das Ergebnis der anderen Stichprobe zeigt, dass diejenigen mit kulturellem Hintergrund dieses nicht wahrnehmen. Dies könnte potenziell damit zusammenhängen, dass diese Begriffe oft in Kontexten genutzt werden, in denen sie ihre Bedeutung verlieren. Insbesondere bei religiösen Ausdrücken kann dies schnell zu einem Problem werden. Dass solche Ausdrücke von der zweiten Strichprobe in anderen Kontexten genutzt wird, verdeutlicht sich auch bei einem weiteren Ergebnis.
In der Befragung dazu, in welchen Situationen Menschen ohne einen muslimisch/ kulturell geprägten Hintergrund diese Begriffe verwenden, gab die eindeutige Mehrheit an, dass sie diese unter Freunden nutzen (81,3%). Dies verdeutlicht, dass diese Ausdrücke oft zu einer Art deutschem „Jugendslang“ umgewandelt werden. Sie werden in ihren Peergroups inflationär verwendet und dabei wird die Bedeutung verzerrt. Diese Meinung vertraten in einer persönlichen Befragung auch zwei Schülerinnen mit einem muslimisch/ kulturell geprägten Hintergrund. Die Schülerin Ragad M. aus der Gy21B meinte, dass der ursprüngliche Kontext in der Verwendung von Menschen ohne entsprechenden Hintergrund verloren gehe. Die Begriffe würden nur benutzt werden, weil es aktuell in mehreren Jugendgruppen wie ein Trend wahrgenommen wird. Der eigentliche Hintergrund würde hierbei nicht gewürdigt werden und der Sprachgebrauch würde sich schnell wieder ändern, wenn Menschen nicht mehr davon profitieren. Dies bestätigte mir auch eine weitere Schülerin, die zudem angab, dass sie es so wahrnimmt, dass die meisten ohne den kulturellen Hintergrund insbesondere die Wörter mit religiöser Bedeutung ins Lächerliche ziehen würden.
Was nun?
Die Ergebnisse der Umfrage stellten dar, dass viele der Menschen mit einem muslimisch/ kulturell geprägten Hintergrund die alltägliche Verwendung solcher Begriffe von jenen ohne diesen Hintergrund als eher negativ wahrnehmen. Also kann man hierbei von kultureller Aneignung sprechen und sollten Menschen ohne diesen kulturellen Hintergrund diese Begriffe nicht mehr verwenden?
In der letzten Frage wurden beide Stichproben dazu befragt, ob Menschen ohne den kulturellen Hintergrund diese Ausdrücke verwenden sollten. Dabei gaben aus der Gruppe mit kulturellem Hintergrund an, dass die meisten finden, dass die Begriffe nicht im alltäglichen Sprachgebrauch genutzt werden sollten (58,1%). Am zweithäufigsten wurde Unsicher ausgewählt (29%) und am wenigsten wurde die Frage mit Ja bestätigt (12,9%). Die andere Stichprobe gab am meisten Unsicher an (42,5%), dann Nein (37,5%) und auch hier beantworteten die Wenigsten die Frage mit Ja (20%).
Die Ergebnisse in der Stichprobe der Betroffenen sieht die Verwendung eher kritisch. Dies ist wichtig, da ihre Meinung hierzu am Bedeutsamsten ist. Ist die Frage dementsprechend mit Ja zu beantworten? Dies kann nicht pauschal so gesagt werden. Es stimme zwar, dass die meisten der Betroffenen eine starke Abneigung gegenüber der alltäglichen Verwendung empfinden, doch einige waren sich auch unsicher oder gaben Ja an. Wie in der Darstellung zum Begriff der kulturellen Aneignung erklärt, müssen solche Fälle komplex und individuell analysiert werden. Es ist also nicht möglich, ein allgemeingültiges Urteil zu fällen. Jeder Mensch muss auf dieses Thema bezogen seine eigene Meinung bilden. Was allerdings gefördert werden sollte, ist Sensibilität für solche Themen und die Profitierenden von Machtstrukturen sollten betroffenen Menschen immer zuhören, wenn sie sagen, dass alltägliche Verwendung sie verletze. Dies ist so wichtig, weil Betroffene oft nicht ernst genommen werden, wenn sie sich durch solche Handlungen verletzt fühlen. Die Achtsamkeit auf Machtstrukturen und die Verbundenheit der Profitierenden mit marginalisierten Gruppen ist sehr bedeutsam für den Schutz dieser Gruppen und für ein positives Zusammenleben, in dem Menschen sich auf Augenhöhe kulturell austauschen können.
Artikel: Malik M.
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